Weidener Sagen

Wie der Klaus Füsslein ein Unglück kommen sah und nicht helfen konnte

Klaus Füsslein war Ratsdiener in Weiden. Jahrzehnte lang hatte er schon dieses Amt. Bei allen Ratssitzungen war er dabei gewesen und viel hatte er in den langen Jahren erlebt. Bürgermeister und Ratsherren hatte er kommen und wieder gehen sehen.

Für heute war wieder einmal sein Tagwerk vollbracht. Nur noch ins Rathaus musste er hinübergehen, um dort mit der Ratsglocke das Zeichen zum Torschluss und zum Löschen der Herdfeuer zu geben. Während er aber am Glockenseil zog, schlug der Wind die Türe zu, und der alte Klaus war im Rathaus eingeschlossen. So musste er wohl oder übel die Nacht im Rathaus verbringen. Er schob sich eine Bank zurecht und legte sich nieder. Das Lager war hart und der Schlaf nicht tief.

Nach wenigen Stunden erwachte der Alte wieder. Eben schlug die Turmuhr zwölf. Da blendete ihn etwas. Was war denn das? Wer sollte um Mitternacht im Rathaus Licht haben? War es der Mondschein? Nein, der Lichtschein kam ja durch einen Spalt der Türe, die hinüber ins Ratszimmer führte. Klaus Füsslein wurde neugierig. Er tappte zu dem Schallloch durch das man alles sehen konnte, was im Ratszimmer vorging. "Alle guten Geister!", kam es über seine Lippen, und sein Herz pochte laut, so sehr erschrak er. Da saß ja der ganz alte Rat, die längst verstorbenen Ratsherren, denen er vor dreißig Jahren gedient hatte. Er erkannte sie alle wieder, die Herren, die schon lange draußen auf dem Friedhof lagen. Sie saßen wie ehemals um den runden Ratstisch: der Rotgerber Vierling, der Wachszieher Sindersberger, der Degenreuther  und all die anderen Herren, gerade so wie einst vor dreißig Jahren. Da, horch! Die Ratsherren taten ihren Mund auf. Sie jammerten über das Unglück, das über die Stadt Weiden kommen werde, und das schon am nächsten Laurentiustag. Sie klagten und jammerten über das Schicksal, das ihre Kinder treffen werde. "Wenn wir es nur abwenden könnten, das Unheil!", rief eben der bärtige Sindersberger.

Plötzlich sprang einer der Ratsherren vom Stuhle auf und rief: "Ihr Herren! Wir werden belauscht! Ein menschliches Ohr hat gehört, was wir sagten!" Der alte Kraus aber rief: "Lahm und ohne Hilfe soll er liegen, und von ferne soll er das Unglück schauen. Das soll die Strafe für den Lauscher sein. Wenn er aber die ganze Zeit nur ein Wörtchen davon spricht, was er jetzt gesehen oder gehört hat, so sei der Tod sein Los!" Und mit drohender Stimme wiederholten die übrigen Ratsherren: "So sei der Tod sein Los!"

Die Uhr schlug eins. Das Licht erlosch und dunkel war’s wieder im Rathaus. Klaus Füsslein lag besinnungslos auf dem Boden und so fand ihn am Morgen nach der Nacht sein Sohn Niklas. Zuerst glaubte er, ein Schlag habe seinen Vater getroffen. Doch bald erholte sich der Alte wieder. Aber es machte ihn das Unglück traurig, das kommen werde und er es nicht abwenden könne. Er sann viel nach, wie er wenigstens sein eigenes Leben und das seines Sohnes retten könne.

Am frühen Morgen des Laurentiustages rief er: "Niklas! Spann das Ross ein! Wir wollen nach Parkstein zum Landrichter!" Bald darauf fuhren sie zur Burg. Der Junge war lustig und guter Dinge, der Alte aber kummervoll und voll Unruhe. Die Amtsgeschäfte waren schnell erledigt und Niklas wollte schon den Wagen zur Heimfahrt herrichten. Vater Klaus fuhr sonst immer gleich von Parkstein nach Weiden zurück. Heute aber hatte er keine Eile und blieb in der Schenke sitzen.

Da krachte vom Bergschloss herab eine Donnerbüchse und auf den Gassen gellte der Ruf: "Feurio! Feurio!" Alle Leute stürzten ins Freie. Im Südosten erhob sich eine ungeheuere Rauchwolke. "In der Weid’n brennts!" Und nun begann ein Lärm und Hasten. Jeder wollte helfen. Eimer, Schaufeln, Feuerhaken wurden herbeigeschafft, Wagen herausgezogen, Pferde gespannt und im wilden Gejage ging’s der brennenden Stadt zu. Auch Niklas und sein Vater waren bereits im Wagen, und Niklas hieb auf das Pferd ein, dass es schneller laufe. Doch war der Weg zwischen Sumpf und Moor schlecht. Da, ein Ruck! Das Fuhrwerk neigte sich und stürzte um. Schimpfend half Niklas dem Pferd auf die Beine, hob mit Mühe den Wagen auf und wollte auch den Vater aufrichten. Der aber war beim Sturz seines Wagens eingeklemmt worden und konnte sich nicht rühren.
"Lahm und ohne Hilfe soll er liegen, und von ferne soll er auf das Unglück schauen!" An diese Worte erinnerte sich jetzt der alte Klaus, an die Worte, die er in der unheimlichen Nacht gehört hatte.

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